Samstag, 14. Januar 2023

Dieser Blog migriert

Nach einer nachwuchsbedingten Schaffenspause werde ich nun wieder mehr schreiben, allerdings nicht auf diesem Blog, sondern bei The Modern Citizen, siehe 

the-modern-citizen.com

Dieser neue Blog ist noch im Werden. Beispielhaft sind einige ältere Beiträge eingestellt und einige wenige neue.  

Mittwoch, 1. Dezember 2021

Fragen, die zu lang unbeantwortet bleiben

Es fühlt sich an, als hätten wir nichts dazugelernt. Die nächste Welle, das nächste Drama. Schnell werden den Regierenden Vorwürfe gemacht. Warum handeln sie nicht konsequenter? Warum wiederholen sich die Fehler? Und dann handeln sie, oft undifferenziert, mit Massnahmen nach Giesskannenprinzip.

Man muss sagen, die Regierenden fast aller freiheitlich-demokratischen Gesellschaften stellen sich mehr oder weniger ungelenk an.  Und das hat chronische Gründe. Denn die Pandemie ist auch eine Zeit unbeantworteter Fragen. 

Welcher Anteil der Bevölkerung hat zum Beispiel Antikörper und wie viele? 

Die Frage ist doch äusserst wichtig. Sieht man Licht am Ende des Tunnels, lässt sich die ein oder andere Einschränkung doch leichter ertragen. Und selbst wenn mittlerweile klar ist, dass man sich mehrfach anstecken kann, so gilt auch als weitgehend gesichert, dass eine Covid-19-Infektion das zweite Mal nicht so schlimm ist wie das erste Mal und das dritte nicht wie das zweite. Unser Immunsystem lernt offenbar dazu. 

Warum also wird nicht mit statistisch ausreichender Signifikanz untersucht, wie die Antikörperlage im Land ist? Schweden scheint zum Beispiel ohne grosse Infektionsrate in den Winter zu gehen.Man möge den Tag noch nicht vor dem Abend loben, aber sind die Schweden mit Covid-19 vielleicht durch? Omrikon mag kommen, aber vielleicht ohne schwere Verläufe, weil eine Grundimmunität vorherrscht. 

Das wäre doch eine sehr wichtige Frage zu beantworten. Es würde uns auch ein Gefühl dafür geben, welche Opferzahlen wir bis zur sogenannten Durchinfizierung zu beklagen hätten. Dass es am Ende zum Zustand einer Durchinfektion kommt, daran zweifelt eigentlich niemand. Es kann nur darum gehen, die Krankenhäuser nicht zu überlasten. Was zur nächsten Frage führt: 

Welche Massnahmen wirken denn nun und welche nicht?

Eine Wissenschaftlergruppe, die leider zu selten zu Wort kommt, ist die der Aerosolforscher. Wo wird sich infiziert, wo nicht? Den auf diesem Gebiet in Deutschland führenden Prof. Gerhard Scheuch beunruhigen Menschenansammlungen im Freien wenig. Und er kann sehr überzeugend darstellen, wie unterschiedlich Aerosole sich drinnen und draussen verhalten. Warum aber sagen wir dann Weihnachtsmärkte ab? Für den Applaus von der Galerie? 

Aerosolforscher Scheuch wundert sich regelmässig über derlei undifferenzierte Massnahmen, zuletzt wieder im seinem Interview „Gefährlichster Ort im Stadion ist die Loge“. Nach draussen sollen die Leute. Massnahmen wie die Schliessung von Weihnachtsmärkten oder Fussballstadien aber verlagern Treffen in die privaten Innenräume, ganz klar kontraproduktiv.

Hingegen sind schlecht belüftete Fahrstühle grosse Virenschleudern, werden aber viel zu selten erwähnt. Noch zwei Stunden, nachdem ein Infizierter mit Virenausstoss in einem solchen Fahrstuhl war, kann man offenbar fast gleich viel Infektionslast in der Luft feststellen. Man ist allein im Fahrstuhl, denkt sich nichts dabei, und infiziert sich. Ähnlich soll es sich mit öffentlichen WCs verhalten. Busse und Bahnen meiden in Zeiten hoher Inzidenz ist wohl auch eher sinnvoll, auch wenn die Empfehlung politisch keine leichte Kost ist. 

Stattdessen wird symbolträchtig über Weihnachtsmärkte und Fussballstadien befunden. Wiederholen sich hier die immer gleichen Fehler? Schon nach der ersten Welle galt: bei Gefährdungslage Treffen in schlecht belüfteten Räumen minimieren. Und da hilft auch kein Fenster auf Kipp, sondern echtes Stosslüften in regelmässigen und kurzen Abständen.

Warum werden die Massnahmen nicht stärker auf ihre Wirksamkeit hin unter die Lupe genommen? Vielleicht haben die Regierenden Angst vor der Bevölkerung und schenken darum keinen reinen Wein ein. Den Fussballspielen das Publikum nehmen erntet nur wenig Kritik, das kann man leicht umsetzen und sich der allgemeinen Unterstützung sicher sein. Sich an Busse und Bahnen wagen ist da viel heikler. 

Vielleicht ist hier das Interesse an statistischer Aussagekraft gar nicht so gross. Genau so wie bei Long Covid…

Was genau ist dieses Long Covid? 

Eine andere Frage, zu der einfach schon viel zu lang ein Informationsvakuum besteht. Warum bleibt es bei Anekdoten, wo ist die überzeugende Studie, die das Thema greifbar macht? 

Wenn Long Covid eher doch so kein grosses Ding ist, würde eine Impfpflicht Ü60 ausreichen? Diese Impfpflicht Ü60 wäre viel leichter zu verantworten. Wenn sich dann dennoch herausstellt, dass die, die sich haben impfen lassen, schwerwiegende Langfristschäden haben, die in dem Fall erst später auftauchen (die Arroganz, mit der diese Sorge abgetan wird, erstaunt immer wieder. Für mich war klar, dass ich am Ende eine Wette eingehe, als ich mich impfen liess, denn wir alle wissen nicht, was wir nicht wissen), dann wäre zumindest nicht eine ganze Bevölkerung davon betroffen. Ich weiss, das hören Viele nicht gern, weil der Geduldsfaden mit den Ungeimpften längst gerissen ist, aber heisst es nicht, Massnahmen müssten immer den geringst notwendigen Eingriff darstellen? Warum dann nicht mit Impfpflicht Ü60 beginnen? Vielleicht war’s das dann schon. Natürlich liegen auch U60 in den Intensivstationen, aber das wäre ggf. gut beherrschbar.

Und wenn es um die Ausrottung des Virus geht, dann müssen wir ohnehin global denken. Ein 70jähriger in Burundi geimpft ist allemal wichtiger und sinnvoller als ein 25jähriger in Brunsbüttel. Denn erstere Impfung schafft nicht nur allgemeinen Impf-Fortschritt, sondern schützt auch noch die Hochrisikogruppe vor einem schweren Verlauf. 

Und dann die Frage, die Geimpfte gar nicht gerne hören:

Wie hoch ist die Infektionsrate bei Geimpften und Ungeimpften wirklich? 

Die offiziellen Zahlen suggerieren einen krassen Unterschied. Aber sind die Test-Regime bei Geimpften und Ungeimpften wirklich gleich? Wenn am Arbeitsplatz 3G herrscht, werden Ungeimpfte dort quasi flächendeckend getestet. Die Geimpften aber testen sich eher selten. Wie ist denn der Prozentsatz der Infektionen im Verhältnis zu den Tests? Ist der Unterschied da auch so gross?

Ich zweifle keine Sekunde an der Wirksamkeit der Impfungen. Die sind ein grosses Heil und ich fühle mich deutlich wohler geimpft als ungeimpft. Aber verhalten wir Geimpften uns nicht ggf. auch pandemietreibender, fahrlässiger? Wir sind ja geimpft, haben uns das „normale Leben“ verdient. Haben wir das? Selbst Länder mit höchsten Impfquoten haben wieder besorgniserregende Entwicklungen jetzt, wo der Winter kommt. Das suggeriert zumindest, dass wir Geimpfte ggf. auch signifikante Pandemietreiber sind. 

Mir wäre viel wohler bei 1G, also gewisse Situationen nur mit Test, völlig egal ob geimpft oder ungeimpft. Mit 1G würden wir den Keil zwischen den beiden Gesellschaftsgruppen auch nicht noch tiefer treiben. Geimpfte und Ungeimpfte könnten zusammen feiern, arbeiten, Sport machen. Natürlich sind die Tests nicht 100% sicher. Aber ausreichend sicher vielleicht, Überlastungen des Gesundheitssystems zu verhindern. Und der persönliche Schutz, das ist ja jedem überlassen. Jeder, der will, kann sich impfen lassen. 

Insgesamt kommen wir vermutlich nur nachhaltig weiter, wenn wir auch Dinge, die gesellschaftlich schwerer zu verklickern sind, ins Zentrum der Massnahmen stellen. Weihnachtsmarkt im Freien ist eben harmlos im Vergleich zu vollem Bus zur Arbeit. Dass es unrichtig erscheint, wenn gewisse Vergnügungen erlaubt, Basisdinge des Lebens aber eingeschränkt sind, darf uns nicht so sehr stören, sonst kommen wir nicht weiter. 

Der Besuch eines Restaurants mit guter Durchlüftung, der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, das Fussballspiel im Freien (insoweit die Anreise nicht mit dem ÖV erfolgt), all das war und ist wahrscheinlich nie ein Pandemietreiber. Dies aber festzustellen und entsprechend zu handeln, das verlangt einen Politikertypus, der sehr auf heisse Kartoffeln steht. Also lieber populäre Massnahmen treffen.

Aber was nützen Bedenken und Massnahmen, die viel Applaus bringen, aber wenig beitragen? Sie führen dann nur zum totalen Lockdown, weil die Infektion sich am Arbeitsplatz, in den privaten Wohnungen, im ÖV, etc. weiter verbreitet - die heiligen Kühe, die man ja nicht so recht anfassen will. 

Kassandrarufe wie die zum Treiben am 11.11. zum Beginn der Kölner Karnevalssession werden jedenfalls nicht seriös nachverfolgt. Was ist denn nun danach passiert? Hatte Köln gegenüber einer Stadt ohne Festlichkeiten dieser Art einen ungewöhnlichen Verlauf? Hatte Köln 1-2 Wochen danach nicht. Die Behauptung aber bleibt einfach im Raum stehen, ohne jede Evidenz.

Im all dem ist klar: wir haben eine schwere Pandemie, die Krankenhäuser sind wieder einmal voll. Sie sind zu voll. Wir müssen etwas tun, um zumindest besagte Durchinfektion zu verlangsamen. Und wahrscheinlich bleibt jetzt wieder nur eine Vollbremsung für 2-3 Wochen, weil man nicht an die heissen Kartoffeln wollte. 

Wenn wir dann mal zurückblicken, müssen wir uns als Gesellschaft auch die Frage stellen, wie gefährlich eine Krankheitswelle denn sein darf, bis wir etwas tun und was bei welcher Situation. Im Moment ist das nicht möglich. Zu viele sind zu kopfscheu, weil man dem Virus eine Kamera auf den Bauch geschnallt hat und dieses „live dabei sein“ schwere Ängste erzeugt. Selbst unter ganz jungen Menschen, die nachweislich kaum etwas zu befürchten haben, gibt es teilweise hysterische Zustände. Man ist da derzeit nicht bereit für besagte Diskussion. 

Wenn wir es dann sind, dann stellen sich folgende Fragen:

Verkehrstote, finden wir das einen annehmbaren Preis für Mobilität?
Wir könnten die Zahlen radikal minimieren. Dann käme der Verkehr aber wohl zum Erliegen. Der bestehende gesellschaftliche Kompromiss nimmt hier Opfer für unsere Mobilität wissentlich in Kauf. Wir tun solche Dinge. Das gilt es einmal festzuhalten. Wichtig für die Diskussion. 

Grippewelle mit teilweise vielen Tausenden Toten akzeptabel? 
Bisher war es das de facto. Es wurde einfach gar nicht drüber gesprochen. In Zukunft auch? Vielleicht hat Corona hier etwas verändert. 

Covid-19 mit am Ende vermutlich 20‘000 Toten in der Schweiz und 200‘000 in Deutschland?
Das ist offensichtlich zu viel, da wollten wir mehrheitlich handeln. Aber auch nicht alle.

Ein Killervirus mit 20% Todesrate und sich so verbreitend wie Covid-19. Würde das auch die überzeugen, die heute querdenken?
Unsere Gesellschaft wäre am Anschlag. Mir fiele hier nur ein: FFP2-Maske durchgängig (insoweit Infektion durch die Luft), unter Androhung hoher Strafen bei Nichtverfolgung. Sonst käme das gesellschaftliche Sein komplett zum Erliegen.
Hier hätten wir wahrscheinlich gegen 100% gesellschaftlichen Konsens, dass es brachiale Massnahmen braucht. Wir würden nicht 20% unserer Bevölkerung sterben lassen. 

Diese Abwägungen sind sehr schwierig und auf eine gewisse Art brutal. Die, die Verantwortung tragen, müssen sie aber treffen. Man schränkt gesellschaftliches Leben für 25‘000 Tote in einem deutschen Grippewinter nicht ein. Zumindest tat man das bisher nicht. Ab wann tun wir es dann? Auch wenn es nicht jeder offen sagt, es gibt so Manche, die die ungebremsten Covid-19-Opferzahlen in Kauf genommen hätten. Makaber, aber so ist es. Wir brauchen hier einen gesellschaftlichen Konsens, wann wir wie handeln wollen. Sonst wird’s beim nächsten Mal wieder ein solches Ge-Eiere. Und dann können wir uns nicht mehr herausreden mit „dem ersten Mal“. Können wir jetzt schon nicht mehr nach fast zwei Jahren.

Wenn wir aber besser werden wollen, müssen wir unbeantwortete Fragen beantworten, auch die politisch nicht Gewollten (ÖV Pandemietreiber ja/nein?), die Unpopulären (Weihnachtsmarkt draussen ungefährlich?) und auch die Schwierigen (Impfpflicht Ü60 reicht?). 

Ich wollte ganz zu Beginn der Pandemie wissen, wie gefährlich Covid-19 pro Altersgruppe und insgesamt ist und habe dafür im April 2020 die Zahlen der ersten Welle in New York analysiert.  Das war  nicht schwierig, die Daten liessen eine gute Analyse zu. Und ich bin überzeugt, wenn man wirklich einen Effort machen würde und die Daten ordentlich erfasst, bliebe auch keine der obigen Fragen unbeabtwortet. 

Es würde uns massiv weiterbringen. 

Montag, 2. August 2021

Niedrigschwellig eine Entscheidung über Infektion versus Impfung treffen?

Ich bin geimpft. Ich denke, das sollte der Leser des folgenden Beitrags wissen. Mir geht es auch nicht um das pro und contra von Covid-19-Impfung. Mir geht es darum, dass mündige Menschen bewusste Entscheidungen treffen.


Meine Herzenskneipe in Köln bietet zusammen mit anderen Gastronomen einen „Drink für einen Pieks“. Coronaimpfung und dann gibt’s ein Gratis-Kölsch. Die Betreiber sind ganz grossartige Menschen und sie meinen es sicher gut. Aber wollen wir wirklich solche Entscheidungen mit einem Bier beeinflussen? Es zieht die Entscheidung auch zu sehr in das Spielerische. Dabei ist es eine Entscheidung zur Gesundheit. Und die sollte seriös getroffen werden.

Ob wir uns dieser Tage gegen Covid-19 impfen lassen oder nicht, ist nichts anderes als eine Wette. Wir schätzen das Risiko einer Infektion und daraus entstehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ab gegen das Risiko einer Impfung, die etwa ein 3/4 Jahr auf dem Markt ist (die übliche Entwicklungsdauer eines Impfstoffs liegt bei vielen Jahren). Beides etwas ungewiss. Wir schätzen also. Keiner weiss. 

Wer kann in solch einer Situation die Verantwortung übernehmen, jemand anderem eine Impfung zu suggerieren? Man stelle sich den (sicherlich unwahrscheinlichen, aber möglichen) Fall vor, dass eine Covid-19 Impfung nun doch langfristige Nebenwirkungen hat, von denen wir heute noch nichts ahnen. Und dann haben wir die 25-jährige Frau kurz vor dem gemeinsamen Abend mit Freunden zwischen Tür und Angel und niederschwellig (und vielleicht noch mit empfundenen Gruppendruck ihrer Freunde) eine Impfung schmackhaft gemacht? Das sollte diese 25-jährige ganz alleine entscheiden und dies eher "hochschwellig", also nach ausreichender Abwägung des Für und Wider.

Ich würde durchaus gut finden, wenn die Gastronomie ein Kölsch ausgibt, aber nicht für den Pieks, sondern für die Teilnahme an einer kompetenten Diskussionsrunde zum Für und Wider einer Covid-19 Impfung. Denn es ist erschreckend, wie diese Entscheidungen in zumindest meinem Umfeld getroffen werden. Natürlich wissen wir noch nicht alles genau, wie zuvor erwähnt. Aber wir wissen viel mehr, als die meisten glauben. Man muss natürlich hinschauen.

Die Originaldaten von RKI (in Deutschland) und BAG (in der Schweiz) geben gute Einblicke. Geradezu hervorragend hier eine visuelle Darstellung der offiziellen BAG-ZahlenStudien von erstklassigen Universitäten lassen Tendenzen erkennen. Sie stimmen nicht immer überein. Und es kommen immer neue Erkenntnisse dazu. Aber gerade darum lohnt es sich, sie anzuschauen. In den USA setzt sich z.B. zur Zeit die Erkenntnis durch, dass man auch als Geimpfter mit Delta Infizierter aufpassen muss, denn man ist infiziert genau gleich ansteckend wie ein nicht Geimpfter (glücklicherweise infiziert man sich mit Impfung wohl nicht so leicht). Wer kennt diese Erkenntnis? Staunen in der Runde, wo immer man es auch anspricht. Natürlich ist das kein Argument für oder wider einer Impfung, denn man schützt sich ja insbesondere selbst. Das Ansteckungspotenzial ist eine zweite Erwägung. Aber es zeigt: Der Zauber ist nicht vorbei, wenn man geimpft ist und man muss weiter vorsichtig sein.

Dem gegenüber ist man immer wieder mit verrückten Aussagen konfrontiert, die zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema teilweise äusserst niederschwellig passiert. Da ist ein 82-jähriger Freund der Familie, der behauptet, er hätte noch immer alle Krankheiten in die Flucht geschlagen. Als wäre das eine Garantie, dass ihm das bei Covid-19 auch gelingt. Die Zahlen sprechen für sich. Ist man über 70, liegt das Covid-19 Risiko vermutlich im hohen einstelligen Prozentbereich, sehr bedrohlich, auch mit gutem Immunsystem gegen andere Krankheiten. 

Umgekehrt sitzt kürzlich bei uns der Arbeitskollege meiner Partnerin, Mitte 30, und ich frage ihn, wie viele der ca. 10,000 Todesfälle in der Schweiz denn in seine Altersgruppe fallen. "So um die 1000 werden es wohl sein", denkt er. Fernab der Realität, diese Einschätzung. Es sind deren 6 Todesfälle im Alter von 30-39 Jahren - und dies seit Beginn der Pandemie. Im Alter von 0-40 Jahren sind es 11 Männer und 6 Frauen, die in der Schweiz an oder mit COVID-19 verstorben sind. Offizielle BAG-Zahlen (wie es sie in Deutschland vom RKI gibt). Kann man einfach nachlesen und bei der persönlichen Gesamtbeurteilung einbeziehen.

Und dann - und da zieht es sich in mir zusammen - behauptet die Teenager-Tochter lieber Freunde doch glatt, in ihrer Schule hätten eigentlich alle, die sich infiziert haben, anschliessend „Long Covid“ - wo erst kürzlich eine Studie der Universität Zürich genau zu diesem Thema für 6- bis 16-Jährige veröffentlicht wurde, die zu einem komplett anderen Ergebnis kommt. Die NZZ schreibt zu den Erkenntnissen:


Keine Frage, Long Covid gibt es (wie auch Long Masern, Long Windpocken, etc.). Aber wichtig hier ist die Erkenntnis, wie gefährlich anekdotische Argumentationen sind („in meinem Umfeld ist es so…“). Das ist eben häufig statistisch nicht signifikant. 

Natürlich sollen all diese Menschen ihre Entscheidung frei fällen und diese ist zu akzeptieren. Aber wenn wir etwas tun müssen, dann den Einzelnen dazu zu bewegen, sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen, damit eine kompetente Entscheidung getroffen wird. Ein Kölsch für die Auseinandersetzung mit Covid-19, nicht für den Pieks – das wäre eine gute Massnahme. Quellen miteinander austauschen, leidenschaftlich debattieren, die Argumente gegeneinander antreten lassen, ohne Phrasen, ohne unheilvolle Vereinfachungen, sondern sachbasiert. Das führt zu soliden Entscheidungen.

Und ja, eine höhere Impfquote würde helfen. Aber niemand sollte aus der Hüfte heraus eine solche Entscheidung treffen, eben niederschwellig. Aufklärung in den Schulen braucht es, am Arbeitsplatz, und ja, warum nicht auch in Veranstaltungen in der Gastronomie. Eine Auseinandersetzung mit dem, was an Informationen vorliegt. Und dafür dann gern ein Kölsch!








Sonntag, 16. Mai 2021

Impfen ja oder nein?

Der blanke Wahnsinn zuweilen, wie Menschen in zumindest meinem Umfeld die Entscheidung fällen, sich impfen zu lassen oder nicht. Die Entscheidung ist leider Sinnbild der oft schwer dysfunktionalen Debatten, die seit 15 Monaten zur Pandemie laufen.

Wer immer noch glaubt, Covid-19 sei insgesamt harmlos, der hat einen Schuss an der Waffel. Keine Toleranz für eine solche Meinung nach all dem, was wir mittlerweile wissen. Ein Blick auf die Bilder aus Indien mag den Verirrten hier helfen.

 

Aber, Fakt ist auch: Wir impfen gerade weite Teile der Bevölkerung mit einem nicht wie üblich getesteten Impfstoff. Ist man über 70, ist Covid-19 brandgefährlich. Die Todesfälle liegen im Prozentbereich. Rein mit dem Ding in den Arm, subito und ohne Wenn und Aber. Der Fall ist klar.

 

Bei den unter 70jährigen ist es aber komplizierter. Man schaue sich nur die Werte für die Schweiz an. Ich habe dabei aus den offiziellen Zahlen zwei Risiken errechnet bzw. abgeleitet:

1. das Risiko auf Basis der entdeckten Infizierten ohne Dunkelziffer, und 

2. das Risiko inklusive einer Dunkelziffer, hier mit einem Faktor 3 angesetzt (auf einen entdeckten Infizierten kommen zwei unentdeckte Infizierte, vermutlich liegt die Dunkelziffer eher höher).

 

 siehe auch: https://rsalzer.github.io/COVID_19_AGE/ - ausser Dunkelziffer: eigene Annahme

 

Nun zählen sich manche unter 70 zu einer Risikogruppe. Wer dabei auf einmal alles ein Risiko für sich empfindet, ist beachtlich. Aber natürlich, das kann ja durchaus sein. Die offiziellen Zahlen in der obigen Tabelle für Infizierte, Hospitalisierte und Tote aber sind inklusive Risikogruppen. Dieses Risiko ist also «mit dabei», man muss nicht hinzuaddieren.


Es sind bei den unter 50jährigen also gerade einmal 51 Personen an oder mit Covid-19 verstorben – dies wohlgemerkt inklusive Risikogruppen. Verständlich, wenn sich da jemand im Alter unter 50 fragt, ob er sich da jetzt schon zur Impfung anstellt oder lieber noch etwas abwarten will. Eines ist dann aber auch klar: lässt man sich nicht impfen, wird man über kurz oder lang mit Covid-19 infiziert. Das Risiko muss man bereit sein zu tragen. Jeder kann es sich für sein Alter errechnen. Für die Altersgruppen 0-50 sowie 50-70 befinden sich die Werte in der obigen Tabelle.

 

Wer sich für die Impfung entscheidet, muss wissen, dass er auf gewisse Weise eine Wette eingeht. Und dabei kann man nicht ignorieren, dass auch Arzneimittel ihre Gefahren mit sich bringen. Manchmal beleuchten wir sie zu spät, wie z.B. 2009 beim Impfstoff «Pandemrix» gegen die Schweinegrippe. Die Ereignisse rund um diesen Impfstoff hat der Spiegel 2018 in einem Beitrag mit dem Titel «Hersteller von Schweinegrippe-Impfstoff ignorierte Risiken» beschrieben.


Solcherlei Vorfälle sind keine Rechtfertigung für absurde Verschwörungstheorien, stellen sie doch die krasse Ausnahme dar. Und Impfungen insgesamt haben diese Welt eindeutig zu einem besseren, sichereren Ort gemacht. Aber wir sollten bescheiden sein und anerkennen, dass wir über die Langzeitfolgen einer Covid-19-Impfung noch nichts wissen können – ganz einfach weil die lange Zeit noch nicht war. Schaut man wiederum in die Vergangenheit, dann scheinen solche Risiken bei Impfstoffen eher gering zu sein. Und selbst beim Vorfall mit «Pandemrix» wurden gerade einmal 75,8 schwere Nebenwirkungen pro eine Millionen Geimpfte gemeldet. Das ist verschwindend gering mit ca. 0,008%. Aber auch hier wieder: höher scheint das Risiko eines fatalen Verlaufs durch eine Infektion mit Covid-19 für unter 50jährige auch nicht zu liegen. 


Ist man unter 70, insbesondere aber unter 50, ist es wohl die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber jeweils sehr geringen Risiken. 

 

Eines sei aber klar gesagt: Eine Entscheidung pro Impfung für Kinder und Jugendliche zu treffen auf Basis der heutigen Erkenntnisse, erscheint äusserst bedenklich. Warum sollte man junge Menschen einem Impfstoff aussetzen, bevor dieser – wie sonst üblicher Standard – ein paar Jahre analysiert wurde und damit auch bzgl. seiner Langzeitfolgen verstanden ist? Gute Gründe sind schwer zu finden. Das muss im Übrigen nicht heissen, dass die Einschränkungen weiter bestehen bleiben. Sobald die Bevölkerung, die will, geimpft ist, können Kinder und Jugendliche auch ungeimpft alle Freiheiten wiedererhalten. Was sollte dagegen sprechen?

 

Wir sollten dann lieber anderswo in der Welt impfen. Denn wirklich in den Griff bekommen wir diese Pandemie nur, wenn ein rechter Teil der Weltbevölkerung geimpft ist. Das Virus kennt keine nationalen Grenzen. Die Welt impfen, das wird Jahre dauern – Jahre, die wir bzgl. Impfung eher Besorgten, vor allem aber Kindern und Jugendlichen geben können, und dies ohne dass sie Einschränkungen erfahren, die wie ein Impfzwang durch die Hintertür wirken könnten. Wir würden es uns im Übrigen als Gesellschaft nicht verzeihen können, wenn der vielleicht unwahrscheinliche, aber mögliche Fall von Langzeitfolgen der Impfung eintritt – und wir hätten junge Menschen mit dem Leben vor sich unnötig diesem Risiko ausgesetzt.

 

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der Autor (in den 50ern) hat impfen lassen. Aber er traf diese Entscheidung für sich, in eigener Verantwortung und im Bewusstsein, dass er hier besagte Wette eingeht. Es ist keinesfalls offensichtlich, dieses oder jenes zu tun. Wichtig ist einfach, dass man eine bewusste Entscheidung trifft und dies nicht aus bizarren Gründen oder einer diffusen Angst heraus, sondern im Wissen um die Pros und Contras. Und wir sollten einander respektieren, Geimpfte und solche, die es nicht wollen. Wir sollten allen sukzessive ihre Freiheiten zurückgeben. 

 

 


Mittwoch, 3. März 2021

NEUSEELAND oder SCHWEDEN - dazwischen ist MIST

Ein Jahr leben wir nun mit COVID-19 in unseren Breitengraden. Die öffentliche Diskussion wird ruppiger, die Ungeduld nimmt zu, mehr und mehr Schuldzuweisungen. Aber müssen wir uns als Volk nicht an die eigene Nase packen? Wissen wir eigentlich, was wir wollen?

Stand heute gibt es zwei Modelle, die in sich Sinn zu machen scheinen, also in sich logisch sind:

Das neuseeländische Modell

Neuseeland fährt eine echte Zero-Covid-19-Strategie. Ein Infizierter in Auckland. Gleich wird alles dicht gemacht. Harter Lockdown. Der eine Infizierte reicht. 

Kann man so machen. Wenn man es so macht, hat man besser seine Grenzen komplett dicht und eine End-Game-Strategie. Denn das Virus verschwindet ja nicht. Alle Anstrengung wäre für die Katz gewesen, wenn man einfach nur später all die Opfer einer Durchinfektion zu beklagen hätte, aber dann eben doch. 

Die einzig sinnvolle End-Game-Strategie kann also nur heissen: man wartet auf medizinische Lösungen. Soll es ein Impfprogramm sein, müssten nahezu alle mitmachen. Besser wären Arzneimittel zur Behandlung im Falle einer Erkrankung. Das kann Jahre dauern. Neuseeland als Strategie müsste man also lang in dieser Schärfe durchhalten.

Der schwedische Weg

Verfolgt man diese Option, dann sieht man zu Beginn ein, dass man keine Chance hat, das Virus aus dem Land zu halten. Man kann das Leiden nur verlängern. In einem gewissen Masse muss es auch verlängert werden, um die Kapazitäten der Krankenhäuser nicht überzustrapazieren. Dafür reichen aber überschaubare Massnahmen. Das gesellschaftliche Leben geht mehr oder weniger normal weiter. AHA-Regeln natürlich, keine Massenveranstaltungen mit Superspread-Potenzial. Aber offene Kitas, Schulen, Restaurants, Zoos. Testen, wenn jemand aus dem Ausland kommt. Testen überhaupt, wo immer möglich. 

Nicht alles davon macht Schweden perfekt, aber für diesen Pandemie-Marathon hat Schweden schon am ehesten den Weg gefunden, der am besten durchhaltbsr ist. Die Restaurants schliessen um 20:30 Uhr, da geht's aber eher um das Verhindern von Trinkgelagen. Vor 20:30 Uhr sind sie uneingeschränkt offen.


Bieten wir als Volk der Exekutive denn nun die Möglichkeit, eine solch klare Strategie wie in Neuseeland oder Schweden zu formulieren? Würde die Strategie „Neuseeland“ gewählt, schreien die einen auf. „Seid Ihr verrückt, wegen einem Infizierten alles zu schliessen“ hiesse es. „Das funktioniert doch sowieso nicht, wir können die Grenzen nicht so abschotten wie das abgelegene Neuseeland ohne Landgrenze“ gäben die anderen zu bedenken. Bei den Gerichten würde bzgl. einstweiliger Massnahmen vorgesprochen.

Und beim schwedischen Weg? „Ihr lasst einfach tausende sterben, nur damit der Laden weiter läuft, wie brutal!“ würde von Vielen mit mahnendem moralischen Zeigefinger postuliert. „Ist das alles, was Ihr tun wollt?“ wäre die fordernde Frage hintendran. Die Schweiz hat es eine Weile versucht, einen ähnlichen Weg wie Schweden zu gehen. Der Druck von innen und aussen wurde immer grösser.

Wie man es auch macht, einen Grossteil der Bevölkerung hat man gegen sich. Nun könnte jemand anmahnen, dass es dann eben wahre Führung braucht. Führen gegen Urängste ist allerdings fast unmöglich. Also geht Schweden nicht. Und Neuseeland könnte man probieren, aber grob auf die Nase fallen, wenn z.B. die Verhältnismässigkeit von den Gerichten angemahnt und Massnahmen ausser Kraft gesetzt werden. Auch die Grenzen mögen sich als sehr porös erweisen. 

Und so kommt in fast allen westlichen Nationen ein Mischmasch heraus, das uns enorme Opferzahlen beschert – einfach in Zeitlupe. Fast 10'000 Tote in der Schweiz, über 70'000 Tote nun in Deutschland. Und zugleich all die Einschränkungen. Das macht mürbe. Mit immer wieder neuen Ideen für Detailmassnahmen, seien sie noch so aberwitzig, versucht man, Entschlossenheit zu zeigen. Das gelingt aber mit der Zeit immer weniger. Die Beruhigungspillen wirken nicht mehr. Und am eigentlichen Verlauf der Pandemie ändert es nur die Geschwindigkeit. Sie schreitet dennoch weiter voran und durchseucht uns zu einem hohen Grad. 

Das Modell "Neuseeland" sollte man nicht zu schnell als "nicht machbar" abtun. Wenn es einmal ein wahrhaftes Killer-Virus geben sollte – so infektiös wie Covid-19 und so tödlich wie Ebola –, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig als Neuseeland. Was sollte die Alternative sein? Weil Länder wie Neuseeland und Australien aufgrund ihrer Nähe zu Asien schon so manche ähnliche Situation erlebt haben, ist das Volk dort eher bereit, drastisch vorzugehen. Vielleicht hilft uns die Erfahrung mit Covid-19, es beim nächsten Mal auch zu sein. Es würde unser Leben aber schwer auf den Kopf stellen. Keine Import-Gurken mehr. Keine Besuche von Freunden und Verwandten im Ausland. Kein internationales Reisen. Alle Grenzen dicht, über Monate, wenn nicht Jahre. Es ist fast unvorstellbar, dass es funktioniert – im Falle eines Killervirus aber zwingend. Die Probe auf's Exempel bleibt uns hoffentlich erspart.

Covid-19 fordert hohe Opferzahlen, ist aber glücklicherweise kein Killervirus. Und so  dürfen und müssen wir uns im Rückblick fragen, welche Massnahmen wirklich effektiv waren und welche eher nicht. Vergleicht man hier die Performance von Schweden mit der anderer europäischer Länder, fährt Schweden nicht so schlecht. Man liegt im Mittelfeld und würde wohl noch besser liegen, wenn die ungewöhnlich grossen Ausbrüche in Altersheimen zu Beginn der Pandemie hätten vermieden werden können. Da wurde man in Schweden auf dem falschen Fuss erwischt. 

errechnet über das Angebot von SRF auf
https://www.srf.ch/news/international/coronavirus-grafik-faelle-impfungen-uebersterblichkeit-corona-zahlen-weltweit,
de ihrerseits als Quelle nennen:  https://ourworldindata.org/coronavirus


Man wird sich im Rückblick also fragen müssen, ob all die Massnahmen und Einschränkungen, oft appliziert mit dem Gieskannenprinzip, so sinnvoll waren oder oft auch einfach nur für die Galerie.

Fakt ist aber – und das spürt jeder, der im privaten Kreis die Diskussion dazu initiiert –, die Pandemie offenbar tief sitzende, sehr unterschiedliche Lebenseinstellungen in unserer Bevölkerung, Einstellungen zum Tod, zur Risikoakzeptanz. Der Autor ist z.B. wachsam im Sinne einer Risikominimierung durch fallweise Kosten-Nutzen-Abschätzungen. Besondere Vorsicht in jedem Fall aber, wenn man Ü70 trifft. Ansonsten ein recht normaler Umgang mit Familie und Freunden (soweit diese bereit dazu sind), auch Restaurant-Besuche, wenn sie erlaubt sind, der gelegentliche Urlaub, falls möglich. 

Schauen wir uns aber im Familien- und Freundeskreis um, sind die Verhaltensweisen extrem unterschiedlich. Und die Grundeinstellungen dazu sitzen tief. Schnell entgleitet eine Diskussion zu Covid-19, insbesondere, wenn besagte Urängste im Spiel sind. Diese z.T. unversöhnlichen Positionen machen aber auch das Regieren für die Regierenden nicht einfach. Das dürfen wir nicht vergessen bei unserer Kritik. Es ist viel Platz für solche, insbesondere wenn wir als Volk für blöd verkauft werden sollen (unseriöses Kaffeesatzlesen in Inzidenzen), man heute dies und morgen jenes sagt (Masken, Schnelltests) oder Placebo-Massnahmen angeordnet werden (Treffen zuhause im ggf. schlecht belüfteten Wohnzimmer ohne Mindestabstand ja, Restaurantbesuche trotz weitreichender Hygienemassnahmen nein). Das alles könnte viel besser laufen, inklusive des Impffortschritts, der aber auch keine abschliessende Antwort ist, wenn sich nur die Hälfte der Bevölkerung impfen lassen will.

Nach einer klaren Strategie zu rufen, als Volk aber nicht eine gemeinsame Basis zu finden, wie man diese in Neuseeland oder Schweden doch recht ordentlich hat, greift zu kurz. Wir sind noch nicht so weit. Die Pandemie hat uns auf dem falschen Fuss erwischt. Vielleicht gibt es Erkenntnisgewinne. Die Politik täte gut daran, hier einen Meinungs- und WIllensbildungsprozess voranzutreiben, der es erlaubt, einen gemeinsamen Weg zu formulieren, ggf. auch darüber abstimmen zu lassen.







Donnerstag, 25. Februar 2021

ELEFANTEN IM RAUM

Zeit für Pandemie 2.0

aktualisiert am 3.3.2020


„Wir wissen noch zu wenig“  - seit einem Jahr läuft nun diese immer gleiche Schallplatte. Ist ja auch ganz praktisch. Sie lässt alle Möglichkeiten, entschuldigt notfalls Fehleinschätzungen und macht die Bevölkerung wachsam.

Niemand macht das mit niederen Motiven. Verschwörungstheoretiker, die dieser Tage ihr Unwesen treiben, versuchen zu suggerieren, dass da in Hinterzimmern irgendwelche Strippenzieher sitzen, die zu ihrem Vorteil das Volk seiner Freiheitsrechte berauben. Ein fertiger Quatsch.

Aber es gibt ein anderes Motiv, nicht für mehr Transparenz zu sorgen - und das eint die politische Kaste rund um die Welt: es ist das eigene Überleben. Ein Fehler in der Pandemiebekämpfung kann die Karriere kosten. Die Bevölkerung im Umgewissen zu halten, verschafft da Vorteile. Das Argumentieren und Handeln ist viel einfacher. Man weiss ja nicht…. Klingt plausibel und entschuldigt jeden Schritt. Denn wir wissen nicht. 

Wir wissen viel mehr, als wir denken. Es liegen reichlich seriöse Daten von offizieller Stelle (RKI, BAG, Länder bzw. Kantone, etc.) vor, die es sich lohnt anzuschauen. Weil das kaum einer tut, funktioniert die Strategie des Unwissens - in Deutschland noch etwas besser als in der Schweiz (ist der Schweizer von seiner Natur her doch etwas weniger staatsgläubig, zuweilen geradezu aufmüpfig, schaut genauer hin - was gut ist!).

Insgesamt mussten sich die handelnden Personen aber bisher nicht ernsthaft Sorgen machen um ausreichend Unterstützung in der Bevölkerung. Was dabei hilft, ist, dass für ca. 85 % aller Bürger das Leben wirtschaftlich mehr oder weniger normal weitergeht. Für die anderen 15 % (Reisebranche, Gastronomie, Kulturschaffende, etc.) bedeuten die Massnahmen wiederum oft der wirtschaftliche Totalausfall. Aber es sind eben nur 15 % und so kann sich die Politik einer grossen Mehrheit sicher sein. 

Das Argumentieren mit gezielten Nebelwolken hat aber auch seinen Preis. Kommen Zweifel auf – und über die Zeit ist das unausweichlich – geht Vertrauen verloren. 

Das erste Mal passierte dies bei der Maskendiskussion. Masken nützen nichts, braucht keiner, hiess es zunächst. Und dann wurden sie Pflicht. Das ist nicht gut. Man fühlt sich an der Nase herumgeführt. Mag ja zu einem guten Zweck gewesen sein (zunächst nicht genug Masken für das medizinische Personal), aber es kratzt am Vertrauen. 

Ähnlich die Diskussion rund um die spätestens seit Sommer 2000 verfügbaren Schnelltests, auch für den Eigengebrauch. Diese Diskussion ist von einer so offensichtlichen Scheinheiligkeit geprägt, dass es einem schon schwer aufstösst. In den Altenheimen sterben massenweise Menschen an Covid-19. Städte wie Tübingen und Rostock scheinen gute Rezepte dagegen zu haben, kämpfen für ihre Schnelltest-Regimes – und man wirft ihnen noch Knüppel zwischen die Beine. Ist dies effektiv das Resultat unguter Lobbyarbeit von Labor- und Ärzteverbänden? Es wäre eine Schande und kostet effektiv Menschenleben. Und auch das Kostenargument ist keines. Wir könnten jeden Bürger mit FFP2-Masken ausstatten sowie Schnelltests 2x die Woche mit und ohne Verdacht sowie bei Bedarf (Besuch bei Risikogruppen) durchführen, die Kosten wären ein Bruchteil dessen, was wir an Wirtschaftshilfen derzeit verbraten.

Es gibt sie immer wieder, diese kuriosen Momente. Argumentationen, die einfach nicht stimmig sind (z.B. die Urlaubsrückkehrer-Mär). Das selektive Zitieren von Wissenschaftlern (Drosten gern, Streeck weniger). Anekdotische Geschichten über wilde Krankheitsverläufe, deren Relevanz dann aber empirisch nicht belegt wird. Oder auch die Präsentation von Statistiken, die der Laie ohne entsprechenden Warnhinweis falsch verstehen muss. 

Lauter Elefanten im Raum. Und kaum einer redet drüber. 

Der mit Abstand grösste Elefant ist wohl das irreführende Kaffeesatzlesen in Inzidenzen. Der Genauigkeitsanspruch, der mit Grenzwerten von 35 oder 50 postuliert wird, lässt sich überhaupt nicht erreichen. Denn was ist die Aussagekraft der errechneten Inzidenzen, wenn auf jeden gefundenen Infizierten fast ein Dutzend nicht entdeckt werden?

Die Kontrollrechnung lässt sich mit einfachem Dreisatz bewerkstelligen: Auf Basis der Todesrate lässt sich „rückwärts“ errechnen, wie viele Infizierte es wohl dazu gegeben haben muss. Zur Todesrate hatte ich im April 2020 auf Basis der Zahlen der ersten Welle in New York City eine Schätzung von 0.28% veröffentlicht (über alle Altersgruppen). Die Heinsberg-Studie nannte im gleichen Monat für den Ausbruch in der gleichnamigen Stadt einen Wert von 0.37%. Und im November 2020 veröffentlichte die WHO eine Metastudie, die 61 Einzelstudien rund um die Welt zusammenfasste und auf einen Durchschnittswert von 0.27% für alle Altersgruppen kam (0.05% für alle unter 70jährigen). 

Die Werte mögen im Rückblick schon nochmals etwas zu korrigieren sein. Aber das ist, was wir haben, und es ist recht konsistent. Nicht unwahrscheinlich, dass man in dieser Region die Wahrheit findet. 

Zu erwähnen ist dabei, dass die Bandbreite der Todesrate, die die WHO in ihrer Metastudie nennt, schwankt und bis auf 1.63% geht. Wenn das Gesundheitssystem nicht gut ist, wenn die Leute aufgrund schlechter Krankenversicherung nicht zum Arzt gehen, bis es zu spät ist, dann steigt die Todesrate natürlich. Wir dürfen aber für die Schweiz und für Deutschland hoffentlich davon ausgehen, dass wir mit unserer Gesundheitsversorgung mindestens den Durchschnittswert, also die 0.27%, erreichen. 

Was bedeutet das nun für die Infiziertenzahlen? Nun, man stellt fest, dass es zwischen den gemeldeten Zahlen und den tatsächlich Infizierten vermutlich einen enormen Unterschied gibt:

Deutschland 
Offiziell gemeldete Infizierte gemäss RKI: 2,4 Mio.
Abgeleitete Infiziertenzahl: 24,7 Mio. (= 100%, wenn 66’698 Todesfälle 0.27% sind)

Schweiz
Offiziell gemeldete Infizierte gemäss BAG: 0,55 Mio.
Abgeleitete Infiziertenzahl: 3,4 Mio. (= 100%, wenn 9’190 Todesfälle 0.27% sind)

Zu den Daten für offiziell gemeldete Infizierte (jeweils per 18.2.2021):
- Quelle RKI-Zahlen (D): https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html
- Quelle BAG-Zahlen (CH): https://www.covid19.admin.ch/de/overview?ovTime=total

Ob die Gesamtzahl der Infizierten inkl. Dunkelziffer 
- aus der WHO-Metastudie abgeleitet nun ca. 1000% bzw. ca. 600% ist, oder 
- wie sich auf Basis von Antikörperuntersuchungen der Universität Zürich ergeben, nahe 300%  
der offiziell gemeldeten Infizierten, es laufen gemäss diesen Berechnungen auf jeden entdeckten Infizierten eine Vielzahl von Infizierten herum, von denen keiner weiss. Wie wollen wir seriös über 35 Infizierte pro 100'000 Einwohner befinden, wenn gleichzeitig auf diese 35 ggf. noch hunderte weitere unentdeckt durch‘s Dorf cruisen?
 
Unsere offiziell gemeldeten Zahlen liegen vermutlich fernab jeder Realität. Schaut man sich in seinem Umfeld um, wird das schnell plausibel. Wie wenige lassen sich testen, die es tun sollten? Und manchmal will man selbst, es wird aber abgeraten. Unsere einjährige Tochter, fleissige Kitagängerin, hatte jüngst eine Grippe samt Schnupfen, Durchfall, das ganze Programm – typische COVID-19 Symptome. Getestet wurde aber nicht. Man mache das nur, wenn ein konkreter Verdacht bestünde, hiess es, z.B. bei einer direkten Begegnung mit einem anderen Infizierten. Lässt man solche Testsituationen aus, muss man sich über eine grosse Dunkelziffer nicht wirklich wundern.

Läge die Zahl der Infizierten nun eher bei über 3 Mio. für die Schweiz bzw. über 24 Mio. für Deutschland – und damit bereits einem rechten Teil der Gesamtbevölkerung –, hätte das weitreichende Konsequenzen:

Inzidenzlesen ade
Wie können wir versuchen, Massnahmen auf Basis von Inzidenzwerten zu beschliessen, wenn wir den Löwenanteil der Infizierten gar nicht entdecken? Zu einem gewissen Grad mögen die Werte ja korrelieren (tatsächlich Infizierte vs. gemeldete). Aber bei einer solch grossen Dunkelziffer kann doch niemand seriös Trends ablesen oder sagen, bei 50 wäre die Nachverfolgbarkeit gesichert (wenn gleichzeitig 500 irgendwo herumlaufen, die nicht entdeckt werden). 

Wir sind eventuell schon nahe am Peak
Wenn die Infektionszahlen jüngst etwas zurückgegangen sind und nun auf einem Plateau verharren, kann es auch sein, dass wir bereits nahe dem Peak der Gauss-Kurve sind. Das würde die Perspektive auf die weitere Ausbreitung verändern. Denn das exponentielle Wachstum findet ja nicht bis zum letzten Infizierten statt, sondern nur in der ersten Zeit. Irgendwann kehrt sich die Dynamik ins Gegenteil um. Es wird immer schwieriger für das Virus, einen neuen Wirt zu finden. Und vermutlich wurden zunächst die Umtriebigsten angesteckt. Es könnte gut sein, dass ein wesentlicher Grund für die aktuell geringeren Zahlen schlicht darin zu finden ist, dass schon ein rechter Teil der Gesamtbevölkerung «durchinfiziert» ist.

Das Killer-Virus ist Covid-19 nicht
Covid-19 ist gefährlich, aber doch weit weniger, als Verhältniszahlen aus offiziell gemeldeten Infizierten vs.Toten suggerieren. Auch hier möchte ich Niemandem unterstellen, dass man diese Werte absichtlich ins Verhältnis setzt – und damit, indem man die Dunkelziffer ausser Acht lässt, enorme Todesraten erhält. Aber es ist zumindest schwer dilettantisch. Und es schürt Ängste, die so für alle Altersgruppen nicht gerechtfertigt sind.

Nun impfen wir die ältere Bevölkerung und sind damit in Bälde durch. Spätestens dann ist Zeit für Pandemie 2.0. In Israel bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, was dann passiert. Die Inzidenz mag immer noch sehr hoch sein (weil die Jüngeren sich weiter gegenseitig infizieren), was aber nicht so tragisch ist, wenn die Krankhäuser sich leeren und die schweren Verläufe massiv abnehmen. Und genau dieser Trend nimmt in Israel, wo die ältere Bevölkerung quasi komplett geimpft ist, gerade seinen Lauf.

Dann ist es Zeit für Pandemie 2.0. Und das beginnt damit, nicht mehr nur wie ein Kaninchen im Scheinwerferkegel auf die Inzidenz zu schielen. Sich infizieren und dann auch krank werden sind eben zweierlei paar Schuh. Pandemie 2.0 sollte natürlich nicht heissen, dass wir fahrlässig werden. Testen, was das Zeug hält, Desinfizieren, Masken tragen und Abstand halten - na klar. Kostet wenig und nützt viel. Aber wenn die ältere Bevölkerung geimpft ist und die Jüngeren wirklich weiter kaum schwere Verläufe haben, dann kann das soziale Leben quasi wieder vollumfänglich stattfinden. 

Und wir täten gut daran anzufangen, differenzierter zu argumentieren. Wie viele junge Menschen denken, sie wären in schlimmer Gefahr, weil ihnen seit Monaten ein Einschüchterungs-Mantra vorgetragen wird? Nochmals, die meisten Handelnden machen das nicht mit niederen Motiven. Sie wollen so zur Vorsicht bewegen. Aber wenn keine Älteren mehr angesteckt werden können (da diese geimpft sind), mögen die Jüngeren wieder recht sorglos ihr Leben leben können. Es ist zumindest kein überzeugendes Zahlenmaterial bekannt – und das beinhaltet die gelegentlich anekdotisch vorgetragenen Geschichten von Langzeitschäden –, das etwas anderes suggeriert.

Natürlich kann Unerwartetes passieren, wie immer im Leben. Aber wir können nicht für jedes Restrisiko gesellschaftliches Leben anhalten. War der Lockdown bei der ersten Welle, als man erst mal verstehen musste, noch völlig ok, ja zwingend, hätte man schon bei der zweiten Welle differenzierter, risikogruppenorientierter vorgehen können (Ansatz Tübingen, Fokus auf die Risikogruppen). Jetzt, wenn die Älteren geimpft sind, sind Einschränkungen bald einfach nur noch unangebracht. Es wird allerdings nicht leicht sein für manchen Politiker, wieder von seinem Baum herunterzusteigen. 

In der Pandemie 2.0 sollten wir ein wachsames Auge auf Hospitalisierungen und Todesfälle haben. Das Infektionsgeschehen wird schlicht zweitrangig, wenn kaum jemand schwer erkrankt (was genau zu verfolgen sein wird, sich aber vermutlich genau so einstellt).

Vor allem aber können wir die Elefanten im Raum nicht einfach ignorieren. Ich unterstelle niemandem böse Absichten. Aber es muss aufhören, unzureichende Überzeugungsfähigkeit durch das Erzeugen von Nebelschwaden zu ersetzen. Richtig wäre gewesen zu sagen:

"Ja, wir haben noch zu wenig Masken. Wir arbeiten mit Hochdruck dran. Und dann bekommt jeder genug."

"Ja, wir müssen testen, was das Zeug hält. Die Schnelltests sind eine grossartige Ergänzung. Und wir testen, ob Symptome oder nicht, insbesondere dann, wenn Risikogruppen im Spiel sind. Kostet eine Stange Geld, mag Ärzte und Labors etwas irritieren, aber das ist jetzt so etwas von zweitrangig."

"Ja, Du bist ein junger Mensch und die scheinen effektiv kaum gefährdet zu sein. Nimm dennoch Rücksicht auf die vulnerablen Gruppen. Aber Du musst für Dich keine Angst haben, Dein Risiko ist keines, was Du nicht auch sonst im Leben hättest."

"Und auch wenn es auf den ersten Blick stössig ist: Wir können die Restaurants outdoor geöffnet lassen. Draussen ist das Risiko einer Infektion, insbesondere mit guten Hygienemassnahmen, einfach enorm gering. Wir müssen aber dort, wo man innen zusammentrifft, schauen. Und darum kann es auch sein, dass Restaurants draussen schon offen sind, wenn Indoor-Aktivitäten (berufliche Meetings) noch lang ersatzweise virtuell stattfinden müssen."

"Wenn Du verreisen willst, in eine Hütte in den Bergen, ein Strandhaus, dgl. – wenn Du weniger Kontakte hast als in der gleichen Zeit zuhause, verringerst Du das Infektionsrisiko für Dich und andere. Also reise, auch ins Ausland. Hauptsache geringeres Infektionsrisiko als zuhause."

Wäre diese Wahrhaftigkeit nicht zielführender? Jedenfalls kann Vertrauen verspielen in einer Pandemie im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein. Verliert man in einer solch kritischen Lage einen Grossteil der Bevölkerung, kann man packen. Und darum müssen wir ehrlich zueinander sein und dennoch erwarten dürfen, dass wir gemeinsam das Richtige tun. 

Heute vor genau einem Jahr wurde in der Schweiz der erste Corona-Infizierte entdeckt. Hoffentlich lernen wir aus den Erfahrungen der letzten 12 Monate. 



Sonntag, 3. Januar 2021

Transparenz im Covid-19-Informationsdschungel

Es kursiert so viel Schrott im Internet über Covid-19 – verquere Flachdenker, die man mal mit in eine Intensivstation zu den um Atem ringenden Patienten nehmen sollte, bis wiederum am anderen Ende des Spektrums Schreckensverbreiter, die mit der Angst der Bevölkerung spielen.

Es haut mich immer wieder um, wie wichtig Covid-19 uns allen ist, wie grottenschlecht informiert aber viele von uns sind. Mir kommt es sogar oft so vor, als hätten manche geradezu Angst vor Daten und Fakten, die ihr Weltbild (einmal gemacht, fest in Stein gemeisselt) erschüttern könnten.

Dabei liegen reichlich Informationen vor. Natürlich werden wir im Rückblick schlauer sein, das ein oder andere auch korrigieren müssen. Aber der Satz „wir wissen noch viel zu wenig“ ist fahrlässig, manchmal auch bewusste Irreführung, um die Angst am Köcheln zu halten. Wir wissen bereits sehr viel.

Ein Versuch, etwas mehr Transparenz in den Covid-19-Informationsdschungel zu bekommen:

Klar ist: Covid-19 ist aussergewöhnlich gefährlich


Wer daran zweifelt, will einfach nicht sehen. Die Krankenhäuser ächzen, die Übersterblichkeit in der zweiten Welle ist enorm. Daran lassen die aktuellen offiziellen Zahlen keinen Zweifel. Das Virus findet seinen Weg zu den Wirten - und dies, wie alle Viren, wenn man sie lässt, exponentiell.

Richtig ist aber auch: Aussergewöhnlich gefährlich für über 70-jährige


Die im September 2020 veröffentlichte Metastudie der WHO ermittelt eine Letalität (Median) von 0.27 %. Für die unter 70-jährigen sind es aber nur 0.05 %. 

Schaut man in die Statistik der Todesfälle in der Schweiz oder in Deutschland, sieht das Bild je nach Altersgruppe dramatisch unterschiedlich aus. Wer unter 30 ist, muss sich bezüglich Ableben durch Covid-19 kaum Sorgen machen. Und auch eine schwere Erkrankung ist eher selten, die unter 30jährigen machen nur 3% der hospitalisierten Fälle aus. Die Zahlen zwischen 30 und 70 sind naturgemäss höher, aber noch nichts, was uns aus der Bahn werfen würde.

Wenn das Risiko-Profil für alle so wäre wie für die unter 70-jährigen, wäre Covid-19 ein paar Schlagzeilen im Frühjahr wert gewesen, aber keine breite politische Erwägung und sicher keine mit Lockdown.

Ist es aber nicht. Wir müssen schauen, wie wir die, die besonders im Risiko sind, schützen.

Die Impfung ist eine Altersfrage


Um das klar vorab zu sagen: ich bin so ziemlich gegen alles geimpft. Impfungen haben die Welt zu einem sichereren Ort werden lassen. Aber Impfungen werden in der Regel über Jahre erprobt, dabei auch etwaige langfristige Nebenwirkungen erforscht.

Manchmal wird eine Impfung aber in der Hast entwickelt, wie seinerzeit bei der Schweinegrippe. Die Folge: In Schweden, wo dagegen geimpft wurde, gab es im Nachgang zur Schweinegrippe-Impfung ca. 500 Fälle von Narkolepsie, einer Art Schlafkrankheit, vornehmlich ausgebrochen unter jungen Leuten.

Ich erwähne das nicht, um von einer Covid-19-Impfung abzuraten – keinesfalls! Aber wir sollten uns in mehr wissenschaftlicher Bescheidenheit üben. Es gibt bei den in wenigen Monaten entwickelten Impfungen zu Covid-19 ein prinzipielles Restrisiko, da wir die langfristigen Folgen noch nicht verstehen können. „Langfrist“  braucht nun mal eine lange Frist. Die Zeit haben wir aber nicht. Und so bleibt eine ganz simple Risikoabwägung – Risiko Covid-19 gegen Risiko Impfung.

Wer über 70 ist, hat meines Erachtens keine Wahl. Die Zahlen geben es klar her: Impfen jetzt ist das einzig Richtige. Das Risiko aus Covid-19 ist zu gross. 

Aber sollte man einer 20jährigen raten, sich impfen zu lassen? Die vorliegenden Zahlen suggerieren das nicht so eindeutig.

Im Moment ist nicht einmal gesagt, dass die Impfung auch verhindert, dass man andere ansteckt. Womöglich schützt sie nur den Geimpften. Aber selbst wenn die Ansteckung auch unterbunden würde, für wen ist man als Ungeimpfter eine Gefahr? Doch nur für Menschen, die sich aus irgendeinem Grund gegen die Impfung entschieden haben. Warum wird also ein moralischer Imperativ "pro Impfung" aufgebaut? Wir könnten doch miteinander koexistieren, die Geimpften und Ungeimpften. Die Geimpften hätten – da ja geimpft – von den Ungeimpften nichts zu befürchten.

Niemand sollte sich darum gezwungen fühlen zur Impfung. Das gebietet auch einfach die wissenschaftliche Bescheidenheit. Wenn dann doch das Unwahrscheinliche eintritt und es eine unerwünschte langfristige Nebenwirkung gibt, wäre es doch dramatisch, wenn wir Heerscharen junger Menschen völlig unnötig zur Impfung gedrängt hätten. Es muss ein freiwilliger Entscheid bleiben.

Die Lage sollte sich deutlich bessern, wenn die über 70jährigen geimpft sind. 

Nehmen wir mal positiv an, die über 70jährigen sind bald geimpft (soweit sie dies wollen, und sie sollten es wollen). Wir werden weiterhin Erkrankte und auch Todesfälle verzeichnen, aber vermutlich vergleichbar mit anderen Risiken des Lebens, denen wir uns aussetzen. Und wir werden nicht mehr an Lockdowns, etc. denken. 

Es dauert aber noch eine Weile, bis die besonders Gefährdeten geimpft sind. Und da muss man leider feststellen:

Wir leben derzeit mit einer gigantischen Covid-19-Dunkelziffer


Da draussen in der Schweiz und in Deutschland laufen wahrscheinlich 5-10 mal so viele Infizierte herum, wie offiziell gemeldet werden. Das ergibt sich aus den 0,27% der WHO-Metastudie, wir könnten sonst nicht so viel Tote haben. Und selbst wenn dieser Wert im Nachhinein etwas zu korrigieren wäre, das Bild wäre nicht dramatisch anders. 

Das ist eine gute und schlechte Nachricht zugleich. Gut ist sie, weil dann offenbar eine grosse Menge von Menschen symptomfrei sind und die Erkrankung nicht bemerken – weit mehr, als wir derzeit denken. Eine schlechte Nachricht ist es aber natürlich auch, weil sich das Virus so unentdeckt weiterverbreiten kann. 

Wir müssen aber klar erkennen: Zu glauben, man könne das Virus in den Griff bekommen, wenn man die Inzidenz unter 50, 25 oder 10 von 100,000 bekommt, ist aberwitzig. Wenn 8 von 10 Personen gar nicht merken, dass sie COVID-19 haben, dann ist die Rückverfolgbarkeit ein schwieriges Ziel. Diese 8 melden sich ja nirgendwo und nichts wird rückverfolgt. Das einzig mögliche Ziel ist Null. Sonst sucht sich (und findet) das Virus seinen Weg.

Wie kommt man da hin?

(Der ungerechte Ruf nach einer) Langzeitstrategie


Natürlich braucht es eine Langzeitstrategie. Logisch. Aber die, die ihr Fehlen derzeit bemängeln, sind grob unfair. Waren wir wirklich bereit für das, was funktioniert hätte?

Best Practice unter den freiheitlichen Demokratien sind wohl Neuseeland und Australien. Beide Länder haben Covid-19 derzeit im Griff. Dort wird aber nicht von 50 pro 100'000 gesprochen. Würde man nie akzeptieren. In Neuseeland und Australien wird gehandelt, wenn nur ein einziger Infizierter entdeckt wird. 

Vermutlich ist das die einzig zielführende Strategie. Null Toleranz, von Anfang an.

Ich bin mir sicher, das wir das beim nächsten Mal so machen. Ob es uns gelingt (inwieweit z.B. die Insellage von Neuseeland und Australien es leichter macht = deren Fehlen für uns schwerer), wird zu sehen sein. Aber klar ist: das, was wir derzeit tun, zermürbt und führt nicht mal wirklich zu einer deutlichen Besserung. 

Mit der Erfahrung von Covid-19 sind wir vermutlich beim nächsten Mal bereit dazu, drastische Massnahmen gleich zu Beginn zu akzeptieren. Aber wir müssen fair bleiben. Wer hätte das im Februar 2020 akzeptiert? Ganze Regionen dichtmachen, inklusive Büros, Schulen, Kitas, etc. – das wäre doch niemals akzeptiert worden. Wir sind jetzt schlauer. 

Jetzt hilft nur noch ein Lockdown hard - oder wir akzeptieren die Entwicklung


Die Impfkampagne wird ihre Zeit brauchen. Will man nicht, dass in den kommenden, vermutlich 2-3 Monaten noch viele weitere, vor allem ältere Menschen schwer erkranken und auch sterben, dann müsste man in ein komplett anderes Fahrwasser. Da kann man nicht einfach die gegenwärtigen Massnahmen verlängern. Wenn die Zahlen massiv runter sollen, dann braucht es einen fokussierten harten Lockdown, der alles umfasst, was nicht absolut essenziell ist. Alles andere ist Illusion. Wird nicht reichen. 

Immerhin, die verlängerten Weihnachtsferien könnten eine Verschnaufpause bringen. Manche sahen Weihnachten ja als Risiko. Ich glaube aber, das Gegenteil ist der Fall. Den Verwandtschaftsbesuchen steht ein viel grösser, positiver Effekt gegenüber, der der geschlossenen Kitas und Schulen, der Abwesenheiten vom Büro, beides verbunden mit viel weniger Benutzung vom ÖV. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Zahlen nach Weihnachten temporär sinken, nur um dann aber, sobald das Leben wieder losgeht, wieder Fahrt aufzunehmen.

Man kann natürlich auch zum Schluss kommen, dass eine Strategie, wie Neuseeland oder Australien sie fahren, hierzulande nicht funktioniert. Wir sind nun mal keine Insel, eingebettet in ein Europa mit (allein schon für den Warenverkehr) zwingend durchlässigen Grenzen. Ich glaube dennoch, wir müssen einen Game Plan für den Lockdown hard zumindest fix und fertig in der Schublade haben. Denn das nächste Virus könnte deutlich gefährlicher sein. So ansteckend wie Covid-19 und so tödlich wie Ebola (30-90%, je nach Stamm) - wir haben  unser Handeln besser gut vorbereitet. Mag zynisch klingen, aber in dem Sinne wäre Covid-19 zumindest ein heilsamer Augenöffer gewesen. Wir haben da nachzubessern, für den Fall der Fälle. 

Im Fazit... 


Covid-19 ist gefährlich, dies aber vor allem für über 70jährige. Die Impfkampagne sollte helfen, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Sind erstmal die über 70jährigen geimpft, werden wir in ruhigere Fahrwasser gelangen. Wenn wir bis dahin nicht viele weitere Opfer beklagen wollen, braucht es einen Lockdown hard. Aber niemand unter 70 muss sich grosse Sorgen machen. Vorsicht logisch, Respekt auch, aber keine Panik. Die führt ohnehin selten zu guten Entscheidungen.

...und zuletzt in eigener Sache


Im Jahr 2020 hatte ich mehrfach über Covid-19 geschrieben, jedes Mal aber mit einem grossen Respekt davor falsch zu liegen. 

Ich fragte mich immer wieder, wie es sein kann, dass so viel Intransparenz bestehen bleibt, wenn doch einige relevante Daten offiziell vorliegen. 

Mein Selbstbewusstsein, über Covid-19 zu schreiben, hat aber über die Zeit merklich zugenommen. Wenn ich sehe, dass ich im April 2020 aus den offiziellen Zahlen zum Ausbruch in New York City eine Letalität von um die 0,28% errechnet habe (wo manche Zeitungen ganz komische Wert von 5, 10 und mehr Prozent publizierten), wenn die Heinsberg-Studie 0,37% ermittelte, die WHO in ihrer Metastudie später 0,27% veröffentlicht, dann lag ich offenbar nicht so falsch. Wenn ich im Oktober 2020 prognostizierte, dass der Wellenbrecher-Lockdown in Deutschland nichts bringen wird, weil man Kitas, Schulen, Büros und den ÖV (leider!) nicht auslassen kann – auch dies auf Basis von offiziellen Daten, diesmal über Infektionsherde –, dann komme ich zum Schluss, dass man klarer sehen kann, wenn man will. Ich habe nachgeschaut und gerechnet, klassischer Dreisatz – sonst nichts. 

Warum fällt dies aber vielen Meinungsmachern so schwer? Schlamperei? Ich bin kein kategorischer Medienkritiker, ganz im Gegenteil. Die vierte Gewalt ist ein essentieller Bestandteil unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaften. Aber in Sachen Covid-19 gibt es offenbar zu heisse Eisen. Wie oft wurde über die Ergebnisse der WHO-Metastudie geschrieben, wie oft darauf hingewiesen, dass man nicht die getesteten, bekannten Infizierten (die ja nur ein Bruchteil aller Infizierten sind) ins Verhältnis zu den Todesfällen setzen kann? Wie oft wurde darauf hingewiesen, dass die Dunkelziffer gigantisch sein muss? Wie oft hat man die enorm unterschiedliche Gefahr von Covid-19 je nach Alter erwähnt? Wie genau hat man hingeschaut, um Infektionsherde zu verstehen? Man wird hier über die Bücher gehen müssen. Das war keine saubere Berichterstattung. Es wurde zu oft unzureichend und irreführend informiert. 

Covid-19 ist aber ein zu ernstes Thema, als dass wir im Nebel stochern sollten Es braucht mehr Transparenz. Und mehr Transparenz ist offensichtlich möglich. 

Sonntag, 13. Dezember 2020

Blindflug

Mit nahezu dreister Konsequenz werden täglich die vom RKI gemeldeten Infektionszahlen kommuniziert, analysiert, Kaffeesatz gelesen. Dabei liegen diese Zahlen vermutlich um ein Vielfaches daneben. 

Wir hatten im November mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die vom RKI berichteten 10'000 - 20'000 Infizierten pro Tag in Deutschland, sondern ein Vielfaches davon. Es müssen um die 60'000 bis 160'000 Infizierte pro Tag gewesen sein. 

Denn: Mittlerweile haben wir recht robuste Zahlen bzgl. der Letalität von COVID-19. In einer Mitte Oktober veröffentlichten Metastudie der WHO wurde die Letalität aus 61 Studien rund um den Globus ermittelt. Der Median für die Letalität liegt bei 0,27 %. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass Deutschland ein zumindest durchschnittliches Gesundheitssystem hat, darf man diesen Wert auch für dort annehmen. Zumindest sollte er nicht höher sein. 

Es starben im November leider oft mehrere hundert Menschen pro Tag mit COVID-19. Das heisst zwangsläufig, dass dem vor ca. 18 Tagen (durchschnittliche Dauer der Erkrankung bei Todesfällen) besagte 60'000 bis 160'000 Infizierte pro Tag gegenüberzustellen sind. Sonst könnte es nicht so viele Tote geben.

Es haut mich schlicht um, dass dies nicht wenigstens im Nebensatz erwähnt wird. Entweder glaubt man der wissenschaftlich recht robust ermittelten Letalität der WHO nicht - das sagt aber niemand so klar und bietet alternative, wissenschaftlich ermittelte Zahlen -, oder die dem RKI gemeldeten Infektionszahlen sind dramatisch zu niedrig.

Das ist kein Vorwurf an das RKI bzgl. der gemeldeten Zahlen. Man kann ja nur wissen, was man weiss. Aber diese Zahlen gehören qualifiziert. Die Dunkelziffer ist riesig. Und das muss doch prominent erwähnt werden. Wir sehen vermutlich nur einen Bruchteil vom Eisberg. Jegliche Analyse von Trends, von R-Werten und dgl. muss doch dann mit grösster Vorsicht vorgenommen werden. Denn wir finden nur die wenigsten Infizierten und es kann gigantische Fehlermargen geben.

Genauso falsch ist, wenn Kanzlerin und Ministerpräsidenten davon sprechen, dass der November-Lockdown ein Teil-Erfolg war, weil man das Wachstum zum Halten gebracht hat, ein Plateau zumindest geschaffen. Hat man wohl eher nicht. Man kann es über die gleiche Methode ableiten. Wenn man die Toten pro Tag als Basis nimmt und hochrechnet, also daraus die vor um die 18 Tage zuvor Infizierten ableitet, sieht man kein Plateau. Die Zahl der Infizierten stieg vielmehr über den ganzen November, siehe blaue Linie in der folgenden Grafik:


Wer die Werte überprüfen will, hier die zugrundeliegende Tabelle:


Grün hinterlegt die vom RKI berichteten Fallzahlen, blau hinterlegt meine Berechnung der Infiziertenzahlen über die Letalität hochgerechnet. Man möge mich gern kontaktieren, wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte. Ich denke aber, die Zahlen sind robust. 

Ich möchte niemandem etwas Böses unterstellen. Ich bin überzeugt, die Entscheider an den entsprechenden Orten wollen die Pandemie mit besten Kräften bekämpfen. Aber es wird kein reiner Wein eingeschenkt. Man macht sich nicht die Mühe, echte Transparenz zu schaffen.

Ähnlich der Umgang mit dem Musterknaben Tübingen. Es lässt sich wirklich sehen, was diese Stadt erreicht hat. Über Wochen kein Infizierter über 75 Jahre, keine überlasteten Krankenhäuser, eine diesbezüglich wirklich stabile Situation. Tübingen ist nicht coronafrei. Aber das ist vielleicht ja auch gar kein mögliches Ziel. Tübingen hat aber einen Weg gefunden, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Dort hat man analysiert, wo das zentrale Problem ist. COVID-19 stellt eine besonders grosse Gefahr für ältere Menschen dar. Gemäss Boris Palmer, dem Bürgermeister von Tübingen, ist die Gefahr eines 80-jährigen 3000 mal so gross wie die eines 20-jährigen. Das heisst nicht, dass der 20-jährige einfach tun und lassen kann, was er will. Aber es ist doch klar, dass wir die Älteren besonders gut schützen müssen. Und das macht Tübingen hervorragend. Gratis FFP2-Masken, Taxifahrten für ältere Menschen zum ÖV-Tarif, Einkaufen vormittags exklusiv für über 65jährige, Schnell-Tests auf dem Marktplatz, bevor man die Oma besucht. Mit diesen und noch einigen weiteren Massnahmen scheint man die Herausforderung ganz gut in den Griff zu bekommen.

Lernt man aus den Erfahrungen in Tübingen? Lang hat man diese "Best Practice" schlicht ignoriert. Jetzt gibt's hier und da mal ein Lob in dieser oder jenen Talkshow. Aber als kürzlich Gesundheitsminister Spahn von Sandra Maischberger konkret nach Tübingen gefragt wurde - siehe Interview vom 9.12. ab 7min 20sek, hat er in seiner Antwort nicht einen einzigen Satz darüber verloren. Wo sind da die inneren Barrieren? Spahn wich aus mit einem Dank an alle Pflegekräfte, was immer gut ankommt. Warum man auf Tübingen nicht mehr eingeht, bleibt rätselhaft.

So beeindruckt ich vom Handeln der Protagonisten während der ersten Welle war, so enttäuschend ist die derzeitige Performance. Falsche Analysen. Es waren in den letzten Monaten nicht die Reisen, Restaurants und Hotels, die die Pandemie trieben, sondern Schulen, Arbeitsorte und Öffentlicher Verkehr. Falscher Fokus. Man lernt nicht von Erfolgen wie Tübingen, sondern zerredet die Dinge, verfängt sich im Kleinklein, flüchtet in Allgemeinplätze. Falsche Schlussfolgerungen. Mehr vom Gleichen, obwohl es vorher schon nicht funktionierte. 

Entweder gehen wir die Dinge konsequent an. Oder wir lassen es offensichtlich einfach laufen. Was wir zur Zeit machen, ist lauwarm und unterkritisch. Es wird, so meine Vermutung - und hier habe ich im Rückblick sehr gern unrecht, befürchte aber, es ist nicht so - wieder nicht reichen, um die Zahlen runterzubekommen. 

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Oft wird nach Asien geschielt. Doch das nützt wenig. Wir haben ganz andere Gesellschaftsstrukturen. In vielen asiatischen Staaten kann eine Regierung eine Weisung ans Volk rausgeben, und das wird dann quasi unisono befolgt. Wir leben aber in sehr pluralistischen, freiheitlichen Gesellschaften. Und solange uns nicht grad etwas auszulöschen droht, möchte ich das auch nicht aufgeben, viele andere sicherlich auch nicht. Querdenker und Coronaleugner nerven, und das sogar sehr. Aber die Alternative (lauter Mundtote) ist keine. 

Im Grundsatz ist das schwedische Modell das, was bei uns funktioniert. Hätte man dort die ältere Bevölkerung von Anfang an gut geschützt, tübingenstyle, würde man Schweden heute als Kardinalsweg betrachten - wenn man denn konsequent testet und schnell reagiert. Das hat nicht geklappt.

Das Kind ist mittlerweile im Brunnen. Wir haben es vermasselt, zu viele Infizierte, weil Schulen, Arbeitsorte und ÖV zu lange tabu waren, stattdessen Restaurant-Schliessungen für die Galerie. Jetzt hilft nur noch ein kompletter Lockdown für eine kurze Zeit, dafür für alle, siehe Blogbeitrag: Der einzige Lockdown, der funktioniert. Seitdem sind nun bald zwei Monate vergangen. Es mehren sich langsam die Stimmen, die Ähnliches erwägen. Warum erst jetzt?

Im Fazit:

- Unsere Analysen müssen besser werden. Es gibt Daten, die klar darauf hinweisen, dass wir hier einen kläglichen Job machen. Wir haben ein ganz anderes Infektionsaufkommen als die gemeldeten Fälle suggerieren. 

- Wir müssen von Erfolgsbeispielen lernen. Tübingen z.B. sollte im Mittelpunkt der Diskussion stehen. 

- Der Karren ist mittlerweile im Dreck. Wir müssen einen kompletten Lockdown durchführen, inklusive Schulen/Arbeitsorte/ÖV. Sonst funktioniert es nicht.

Wir finden hoffentlich bald zur notwendigen Transparenz und Konsequenz.

Rechtliches

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